Naturverbunden
Wildnistraining in der Eifel
Der Kontakt zur Tier- und Pflanzenwelt ist den meisten Menschen im Alltag abhanden gekommen. Allein und ohne Werkzeug würden nur die Wenigsten von uns eine Nacht lang im Wald zurecht kommen. Die grundlegenden Fähigkeiten, um sich in der Wildnis durchzuschlagen, kann man im Camp von Uwe Belz in Dahlem in der Eifel lernen. Und, wie man eins wird mit der Natur.
Schutz suchen hat absoluten Vorrang. Essen steht ganz hinten auf der Liste“, sagt Pascal Koch in die Runde. Der Wildnislehrer und Teamkollege von Uwe Belz, dem Gründer des Camps, erklärt den Teilnehmern des Kurses „Bushcraft, Survival und Wahrnehmung“, wie sie sich auf eine Nacht im Wald vorbereiten sollen. Dabei wird so manchem klar: Das Leben in der Natur stellt die gewohnten Prioritäten auf den Kopf.
Trinkwasser, Wärme und Regenschutz. Erst wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann man sich um sein leibliches Wohl kümmern. Wie baut man also einen Unterschlupf? „Bei der Auswahl des Ortes, an dem man sich für die Nacht niederlässt, sollte man beachten, dass er sich nicht unter einem morschen Baum befindet. Also immer auch nach oben schauen“, rät Pascal Koch. Wasserläufe, Steinschlag, Wildwechsel sind Faktoren, die ebenfalls berücksichtigt werden sollten, wenn man eine ruhige Nacht verbringen möchte.
Kälte von unten, Regen von oben, dagegen gilt es sich zu schützen. Wer zum ersten Mal unter freiem Himmel schläft, dem empfiehlt der Seminarleiter, eine Isomatte in die Ausrüstung zu packen. „Nehmt zu Beginn die Dinge mit, die ihr braucht, damit die Übernachtung für euch noch angenehm ist. Später könnt ihr dann wirklich nur mit dem Nötigsten in den Wald gehen.“ Des Weiteren gehören ins Gepäck: ein Messer, ein Feuerzeug, eine Trinkflasche und ein Regenponcho.
Hartgesottene können sich statt Isomatte eine weiche Naturmatraze für ihr Waldläuferbett zusammentragen: Aufgehäufte Kiefernadeln, Nadelzweige und Laubblätter sind durch die vielen Lufteinschlüsse eine ideale Dämmung gegen die Bodenkälte.
Minimalgepäck, so nennen Outdoor-Spezialisten die Ausrüstung, die man in jedem Fall dabeihaben sollte. Dazu gehören immer auch Seile. Damit wird der Regenponcho, wie ein kleines Zelt, über die Schlafstätte gespannt. Wer es gerne eine Nummer größer mag, kann hierfür auch ein sogenanntes Tarp (kurz für Tarpaulin), eine wasserfeste Abdeckung verwenden. Hat man keine Heringe dabei, muss man sich welche schnitzen; wer will, kann auch noch eine Regenrinne um das Poncho-Shelter herum graben.
Die 16 Seminarteilnehmer sollen sich nach der Demonstration auf dem weitläufigen Gelände des Wildnis-Camps verteilen, einen geeigneten Platz aussuchen und dort selber eine Unterkunft bauen. „Wenn ihr wollt, könnt ihr heute im Wald übernachten. Auf dem Boden zu schlafen, das hat eine ganz andere Qualität. Da ist man, spirituell gesehen, wirklich mit der Natur in Verbindung“, sagt Pascal Koch.
Das ist der Unterschied zwischen dem reinen Survival, dem Überleben in der Wildnis, dem Kampf gegen die Elemente, und dem Wildnistraining von Uwe Belz, in dem es vielmehr um das Leben in der Natur geht. „Unsere Vision ist, mit der Natur zu leben und ihr auch etwas zurückzugeben“, sagt er. Der Aspekt der Wahrnehmung macht denn auch einen großen Teil seiner Seminare aus.
„Draußen zu sein gibt einem die Gelegenheit, sich mit sich selber und der Natur zu verbinden. Sie gibt einem Raum für sich selbst“, sagt Uwe Belz. Er hat eine vierjährige Ausbildung bei Tom Brown Jr, einem der bedeutendsten amerikanischen Wildnis- und Survivallehrer, absolviert. Anschließend hat er ein Jahr lang in einer einfachen Hütte in der Wildnis der USA gelebt und alles was er gelernt hat, auch selber angewandt.
Innere Freiheit
„Das Leben mit der Tages- und Nachtzeit, mit der Natur, den Lichtverhältnissen, all das hat mich fasziniert“, sagt er. „Wenn man über eine längere Zeit draußen lebt, dann bekommt man eine ganz andere Wahrnehmung, man kommt in einen ganz anderen Bewusstseinszustand hinein. Man schwingt anders.“
Eigentlich könne man vom Herzen und Bewusstsein her auch anders leben. „So wie die Leute in unserer schnelllebigen Welt drauf sind, denkt man sich: Das ist alles nur Kompensation für das, was ihnen fehlt. Nur, sie suchen an der falschen Stelle: mehr Alkohol, mehr Drogen, mehr Sex, mehr Entertainment. Dabei liegt der Weg in der anderen Richtung. Mehr Natur, mehr Stille, mehr schwingen lassen, mehr zu sich kommen.“ Davon ist Uwe Belz überzeugt. Im Kontakt mit der Natur merke man plötzlich im Herzen eine andere Stimmung. Eine Zufriedenheit und Erfüllung, die man bis dahin in Spaß und Ablenkung gesucht hat.
„Der Knoten zum Abspannen ist das Schwierigste“, sagt Sarah. Ihr Poncho ist im Boden verankert, er muss nur noch straff gezogen werden. Sie versucht noch zwei Mal, den Knoten zu binden und freut sich dann: „Ha, ich krieg‘s hin!“ Sie hat bereits ein Wildnistraining absolviert, sich aber noch nicht getraut, im Wald zu übernachten. Schon gar nicht allein. „Vielleicht versuch‘ ich‘s demnächst mit einem Freund“, sagt sie.
Gerdi hingegen möchte schon die kommende Nacht auf dem Waldboden schlafen. Sie ist dabei, Heringe zu schnitzen, mit viel Geschick. „Ich schnitze öfters“, erklärt sie, „immer wenn ich ein geeignetes Stück Holz finde, lege ich los.“ Eine Freundin hat ihr von diesem Kurs erzählt und da sie Natur faszinierend findet, wie sie sagt, hat sie nicht gezögert und sich sofort angemeldet.
„Natur ist für mich Schöpfung. Wenn ich in und mit ihr arbeite, habe ich das Gefühl, dem Schöpfer näher zu kommen“, sagt Gerdi. Den Blick auf Flora und Fauna hat sie sich mit ihrem Hobby, der Makrofotografie, geschärft. „Bei den Nahaufnahmen sieht man die kleinen Dinge. Man hat eine andere Perspektive, das hat etwas Beruhigendes.“
Entspannend ist auch die Aufgabe, die die Kursteilnehmer in jeder freien Minute wieder hervorkramen: das Herstellen einer Essschale und eines Löffels durch Glutbrennen. Hierfür nimmt man Glut und häuft sie auf einen Holzscheit. Sie glimmt dann eine Mulde ins Holz. Man braucht viel Geduld, um die Glut immer wieder anzufachen. Mit Hingabe sind die Frauen und Männer bei der Sache. Immer wieder nehmen sie neue Glut, beschleunigen den Brennvorgang durch leichtes Blasen und probieren, wenn der Löffel abgekühlt ist, ob er auch tatsächlich in den Mund passt.
Kundengespräche, Abgabetermine, Projektkontrollen, das alles spielt in diesem Moment, mitten im Eifeler Wald, keine Rolle mehr. Die Aufmerksamkeit der Naturfreunde ist ganz auf das glühende Stück Holz gerichtet. Rund um das Lagerfeuer ist es still, sie reden nicht einmal untereinander. Pascal Koch nennt das „Meditation der Hände“. „Der Kurs an sich dauert nur zweieinhalb Tage. Doch die meisten der Teilnehmer sagen, für sie fühle es sich an, wie eine Woche Urlaub. Sie haben keinen Stress und verrichten Tätigkeiten, bei denen man sehr schnell runterkommt.“
Er sieht die Natur denn auch als Therapeuten. „Einfach draußen sein, das macht was mit dir. Man erlebt die Elemente hautnah.“ Diese Verbindung zur Natur hat Pascal Koch lange gesucht. Er hat zahlreiche klassische Survival-Kurse absolviert. „Weißer-Mann-Survival nennt man das auch. Man geht mit einem Rambo-Messer in die Wildnis und versucht, zu überleben. Doch mir hat dabei immer etwas gefehlt“, sagt er. Die Einfachheit und Ursprünglichkeit hat er schließlich im Wildnis-Camp von Uwe Belz gefunden. Bei ihm hat Pascal Koch eine dreijährige Wildnislehrerausbildung absolviert und unterrichtet nun auch im Camp.
Der Spurenleser und Survival-Spezialist Tom Brown Jr beschreibt es in der Einleitung zu seinem Buch „Das Vermächtnis der Wildnis“ so: „Wir suchen die Wildnis auf, um dort Wahrheit, Erleuchtung und Frieden zu finden: eine andere Realität des Lebens, wo alles natürlich ist. Dort gewinnt der Mensch seine Wirklichkeit; dort findet er seine Bestimmung und Nahrung für seine Seele.“
Nicht nur die Technik zählt
„Wenn man sich den Raum und die Zeit gibt für die Stille in der Natur, dann kommt man auf jeden Fall zur Ruhe“, sagt Uwe Belz. „Jemand, der sich mit der Natur beschäftigt, der, wie man sagt, einen Sitzplatz in der Natur hat, ist allein durch diesen Naturkontakt in einer guten psychischen Verfassung.“ Und genau diese psychische Stabilität ist für das Überleben in der Wildnis viel wichtiger, als das Beherrschen der Wildnisfertigkeiten.
Natürlich ist es wesentlich, Techniken wie Jagen, Feuermachen oder Schutzsuchen zu beherrschen, um auf sich allein gestellt in der Wildnis zu überleben. Doch die mentale Komponente sollte man dabei nicht unterschätzen. „Heutzutage ist das Stichwort Resilienz in aller Munde. Das A und O, wenn man in eine Notsituation gerät, ist die nötige Stabilität, sie anzunehmen und nicht in Panik zu verfallen“, sagt Uwe Belz.
Verliert man bei einer Flussüberquerung zum Beispiel Teile seiner Ausrüstung, oder wird sie dabei ganz einfach nass und unbrauchbar, dann muss man wissen, dass man sich zunächst einmal beruhigen muss. „Wenn man nämlich seinen inneren Impulsen folgt, macht man meist irgendwas, aber nichts Vernünftiges.“ Sich hinsetzen, tief atmen, zur Ruhe kommen, rät der Wildnisexperte. „Dann kann ich mit meinem Verstand überlegen, was zu tun ist, dann werde ich wieder handlungsbereit.“
Der gelassene Blick
In der Wildnis muss man sich auf seine Sinne verlassen können. Dabei ist es viel wichtiger, so viele Eindrücke wie möglich zu sammeln, als sich von vornherein auf etwas Bestimmtes zu konzentrieren. Nehmen wir als Beispiel den Weitwinkelblick. Diese andere Art zu Sehen beruht auf einem offenen Blick, der sich immer weiter ausdehnt, anstatt sich auf ein bestimmtes Objekt zu fokussieren.
Normalerweise sind wir gewohnt, scharf zu sehen. „Wir setzen überall Brennpunkte, ansonsten könnten wir nicht lesen“, erklärt Uwe Belz. „Hier geht es nun darum, ähnlich wie in den Kampfkünsten, den Blick zu weiten, das ganze Blickfeld reinzunehmen. Dann verliert man an Schärfe, aber wir werden bewegungssensitiv. Aufmerksamkeit lenkt bekanntlich Energie. Mit so einer Fokussierung schmeiß‘ ich mich in meiner Wahrnehmung also ständig nach draußen. Beim Weitwinkelblick hingegen bleibe ich mit mir selber verbunden und komme so in meinem eigenen Rhythmus in der Natur an.“
In Kombination mit dem Fuchsgang, dem langsamen, meditativen Gehen, ist der periphere Blick ideal, um viel mehr Tiere im Wald zu sehen, als wenn man einfach darin spazieren geht. Zudem wirkt der Fuchsgang beruhigend. „Wenn sich der Körper verlangsamt, kommt auch der innere Plappermann zur Ruhe“, sagt der Wildnistrainer. „Über den langsamen Gang kann man bestens entschleunigen. Das Witzige dabei ist, das funktioniert auch in der Einkaufszone in Luxemburg-Stadt.“
Teamarbeit ist angesagt, es geht ums Feuermachen. Hierfür braucht man einen Bogen, eine Spindel, einen Handhalter und ein Feuerbrett. Ganz schön viel Vorbereitung ist gefragt, wenn man durch Reibung glühenden Holzabrieb erzeugen möchte, mit dem man Reisig und Ginster anzünden kann. Pascal Koch gibt den Kursteilnehmern denn auch den Ratschlag der fünf P: „proper preparation prevents poor performance“.
Holzspäne und -stücke werden am besten in Tipi-Form aufgestellt, um den Kamineffekt zu nutzen. Die Technik des Drillbogens erfordert viel Geduld. Wer die Nerven verliert, wird frieren. Es kann mitunter harte Arbeit sein, ein wenig qualmenden Abrieb zu produzieren, mit dem man den Zunder entfachen kann. „Es müssen viele Parameter stimmen“, sagt Pascal Koch, „auch die eigene Einstellung. Beobachtet euch selbst.
Was geht in euch vor, wenn es nicht sofort klappt.“ Von Enttäuschung über Frustration bis hin zu Ärger ist alles dabei. Die Arbeit mit den Elementen fordert einen auf allen Ebenen, auch auf der mentalen.
Zum Thema geistige Einstellung schreibt Tom Brown Jr folgendes: „Es gibt einen Weg, in der Beengtheit der Gesellschaft zu leben und dort die Vision einer besseren Welt zu leben, ohne in eine Falle oder in die Isolation zu geraten. Diese Art zu leben nenne ich das Bewusstsein der Wildnis.
Es macht wenig Unterschied, ob jemand in der Stadt leben muss, in einem Dorf oder auf dem Land oder ob jemand in einer Fabrik arbeitet, im Krankenhaus oder auf der Baustelle. Das Geistige ist die höchste Freiheit, und wir sind nicht eingesperrt in unserer Wohnung, an unserem Arbeitsplatz. Wir haben im Leben die freie Wahl – vor allem die freie Wahl, wie wir denken und wie wir die Welt betrachten. Und diese Wahl, dieses Denken erst entscheidet, ob wir das Leben freudvoll und glücklich erfahren oder in kraftloser Resignation.“*
* Tom Brown Jr, Das Vermächtnis der Wildnis, Originaltitel: The Quest – One Man’s Search for Peace, Insight, and Healing in an Endangered World